Ist es tatsächlich „nachhaltig“, bei Bekleidung auf in Europa produzierte Ware zu achten?

Zusammengefasst kann Nachhaltigkeit somit als eine Form des ökologischen und ökonomischen Handelns verstanden werden, die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen vergleichbare oder bessere Lebensbedingungen sichern soll, indem das dazu notwendige Element sorgsame Anwendung findet und entsprechend geschützt wird. („Lexikon der Nachhaltigkeit“ [https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/definitionen_1382.htm; 31.08.21; 14:15])
Dieses ökologische und ökonomische Handeln ist bei Lebensmitteln dann gegeben, wenn zum Beispiel biologische und damit ökologische Landwirtschaft in unseren Breiten auch ökonomisch für den Landwirt darstellbar ist. Leider ist der „Konsument“ nur eingeschränkt bereit, die dadurch notwendigen höheren Preise zu akzeptieren und letztlich so eine gesunde wirtschaftliche Basis für gegenwärtige und zukünftige Landwirtschaft zu ermöglichen. Natürliche Ressourcen und entsprechendes Know-how wären vorhanden, dies alleine reicht jedoch nicht aus. Wenn wir uns der Situation in der Textil- und Bekleidungsindustrie zuwenden, so sehen wir, dass es hier nicht nur um die Frage vorhandener Ressourcen geht, die Ausgangsbasis ist wesentlich komplexer. Der Jahresverbrauch an textilen Fasern beträgt aktuell weltweit rund 110.000.000 (110 Millionen) Tonnen. Die wichtigsten Anbauländer für Baumwolle sind China, Indien, USA, Pakistan oder auch Usbekistan, erfreulicherweise gibt es im Sinne der Nachhaltigkeit großen Zuwachs bei biologischen Anbauflächen, allen voran in Indien.
Immer wieder gibt es aber auch berechtigte Kritik, welche entweder den Wasserverbrauch bei der künstlichen Bewässerung, die Menge der eingesetzten Chemikalien oder die immer wieder aufgedeckte Kinderarbeit bei der Baumwollernte zum Inhalt haben.
Klar ist aber, dass wir mangels Alternativen auf das Material Baumwolle angewiesen sind. Anbauflächen zu reduzieren, hieße gleichzeitig den Anteil an synthetischen Rohmaterialien zu erhöhen. Die für die jeweilige Endverwendung erforderlichen Stoffeigenschaften können aktuell nicht durch andere Materialien ersetzt werden, davon abgesehen, dass es dafür auch keine Kapazitäten gäbe. Ein wichtiger gegenwärtiger und zukünftiger Aspekt ist allerdings die
Circularity (Kreislaufwirtschaft)
Die Kreislaufwirtschaft ist ein Modell der Produktion und des Verbrauchs, bei dem bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden. Auf diese Weise wird der Lebenszyklus der Produkte verlängert.
In der Praxis bedeutet dies, dass Abfälle auf ein Minimum reduziert werden. Nachdem ein Produkt das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, verbleiben die Ressourcen und Materialien so weit wie möglich in der Wirtschaft. Sie werden also immer wieder produktiv weiterverwendet, um weiterhin Wertschöpfung zu generieren.
So weit so gut.
Im Sinne eines ökonomischen Handelns ist es erforderlich, Wertschöpfung an jenen Orten entstehen zu lassen, an welchen der Produktionszyklus beginnt. Baumwolle wächst nur in geringem Ausmaß in Europa, die mit Abstand größten Kapazitäten für synthetische Fasern befinden sich in Asien.
Bekleidung jeglicher Art erfordert mehrere Produktionsschritte wie Faserproduktion bzw. Ernte, Garnproduktion, Stofferzeugung, Färbung und Ausrüstung und Konfektion, dazwischen finden sich Zulieferunternehmen von Maschinen, von Chemikalien, von Zubehörteilen usw.
Für manche Länder ist die Bekleidungsproduktion der mit Abstand wichtigste Arbeitgeber. Neben China ist Bangladesch der größte Produzent, das Einkommen der in den jeweiligen Nähereien beschäftigten Personen reicht oftmals nicht zur Deckung der Lebenshaltungskosten.
Die Alternative, Bekleidung zum Beispiel in Europa zu produzieren, gelingt nur marginal. Wenn richtigerweise die erforderlichen Transportwege zwischen den jeweiligen Produktionsstufen in die CO2 Bilanz miteinbezogen werden (in Europa gibt es mittlerweile keine „vertikal integrierten Produktionen“ mehr, d.h., die jeweiligen Herstellungsschritte werden von unterschiedlichen Unternehmen geleistet), dann sind diese Standorte gegenüber großen asiatischen Textilkonzernen bereits im Nachteil.
Hier und da gibt es Marktteilnehmer, welche (mit außereuropäischem Rohstoff) eine nationale Produktion anbieten, im Sinne der Nachhaltigkeits-Definition „die gegenwärtigen und zukünftigen Generationen vergleichbare oder bessere Lebensbedingungen sichern soll“ ist jedoch mangels entsprechender wirtschaftlicher Darstellbarkeit kein „nachhaltiges“ Szenario erkennbar. Eine Produktion in Europa – egal auf welche Stufe der textilen Kette – gelingt nur mit höchster Produktivität, also höchstem Automatisierungsgrad und einer geringen Entlohnung der Beschäftigten im Vergleich zu anderen Branchen. Somit stellt sich die berechtigte Frage, ob die Beschäftigung von z.B. 200 NäherInnen in einer Produktion in Europa den aufgrund der niedrigeren Produktivität entsprechendem Wegfall von 1000 oder vielleicht sogar 2000 Beschäftigten in Asien rechtfertigt. In einem globalen Kontext ist dies jedoch eines sicher nicht, nämlich nachhaltig.
Stoffe für Schutzbekleidung müssen unterschiedlichsten Anforderungen gerecht werden und bestehen so gut wie immer aus einem vielfältigen Materialmix. Mit den aktuellen technischen Möglichkeiten können diese nicht recycelt werden, d.h., dass eine nicht mehr verwendete Bekleidung fast immer entsorgt werden muss. Eine weitere Nutzung durch caritative Aktionen ist aufgrund der angebrachten Firmenlogos meist auszuschließen.
Hier liegt aber auch eine Chance für europäische Unternehmen. Ware, welche bereits in Europa ist und welche recycelt oder auf andere Art wiederverwertet werden kann, wäre eine ideale Möglichkeit für Innovation und Produktion. Lange Transportwege wären kontraproduktiv, ein hohes Ausmaß an Importen dieser „neuen“ Artikel ist nicht absehbar.
Unabhängig davon benötigen wir aber auch textile Produkte in unterschiedlicher Ausführung aus neuen („virgin“) Fasern. Diese überwiegen die recycelten Artikel noch um ein Vielfaches.
Von entscheidender Wichtigkeit ist es, für eine echte Transparenz der Lieferkette einzutreten, also für
Supply Chain Transparency (Transparenz der Lieferkette),
Zahlung von existenzsichernden Löhnen zu fordern (interessante Details dazu finden sich auf https://cleanclothes.org/poverty-wages , Kampf gegen Zwangs- und Kinderarbeit zu führen und generell auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen zu bestehen. Es gibt eine Reihe von Organisationen, welche sich diese Arbeit zum Inhalt gesetzt haben, vielen Dank dafür.
Diese Transparenz der Lieferkette erzeugt den notwendigen Druck auf alle Marktteilnehmer.
Selbstverständlich ist es damit nicht getan, es benötigt ebenso die Umsetzung von sozialen Rahmenbedingungen der Produktionsunternehmen und deren Kontrolle.
CSR (Corporate Social Responsibility)
Unter "Corporate Social Responsibility" oder kurz CSR ist die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens zu verstehen.
CSR ist die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dies umfasst soziale, ökologische und ökonomische Aspekte, wie sie etwa in international anerkannten Referenzdokumenten zur Unternehmensverantwortung ausgeführt sind, insbesondere in der ILO-Grundsatzerklärung über Unternehmen und Sozialpolitik, den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, im UN Global Compact oder in der ISO 26000. Konkret geht es beispielsweise um faire Geschäftspraktiken, mitarbeiterorientierte Personalpolitik, sparsamen Einsatz von natürlichen Ressourcen, Schutz von Klima und Umwelt, ernst gemeintes Engagement vor Ort und Verantwortung auch in der Lieferkette.
Der Nachhaltigkeitsbericht von Arvind Limited (Indien) ist ein sehr gutes Beispiel, in welche Richtung es gehen muss (https://www.arvind.com/sustainability) . Dazu im Vergleich eine realistischen Situation in Europa:
Die textilen Vorstufen, also Garn- und Stoffproduktion durch namhafte Produzenten erfüllen durchwegs alle Auflagen. In der Konfektion, welche aus Kostengründen in den osteuropäischen bzw. in den südosteuropäischen Ländern stattfindet, ist dies jedoch selten der Fall.
  • Das Einkommen der NäherInnen in manchen dieser Länder ist unter dem aktuellen Lohnniveau von China.
  • Strukturell handelt es sich meist um Klein- bzw. maximal Mittelbetrieben, welche oftmals aufgrund Nichteinhaltung sozialer Arbeitsbedingungen am Pranger stehen.
  • Die maschinelle Ausstattung orientiert sich an den finanziellen Möglichkeiten, somit auch die stattfindenden Umweltschutzmaßnahmen. Im Vergleich dazu hält unser Partner Arvind aktuell 25 weltweite Umweltschutzpatente.
Nachdem wir bei vielen Ausschreibungen für Bekleidung von europäischen Unternehmen und Behörden teilnehmen, erleben wir immer wieder den Versuch, eine Bekleidung mit europäischem Ursprung zu fordern und dies meist zu Preisen, welche einer asiatischen Produktion entsprechen. Dies hat jedoch meines Erachtens mit nachhaltiger Beschaffung nichts, aber wirklich überhaupt nichts zu tun.
Ich freue mich darauf, die Sichtweise der Leser unseres Blogs zu diesem Thema zu erfahren.